A-Z der Tiergesundheit:
von Nicolai Richel
Der Kreuzbandriss des Menschen wird meist durch ein stumpfes Trauma, wie z. B. fehlerhaftes Auftreten bei sportlichen Betätigungen verursacht. Bei Hund und Katze jedoch wird, neben Traumata durch hängenbleiben in Zäunen oder Stürzen, der Kreuzbandriss viel häufiger als Folge eines degenerativen Prozesses beobachtet. Sprich, das Kreuzband reißt als schleichender Vorgang durch Fehlbelastung des Kniegelenkes, aufgrund Gelenksfehlstellungen oder als Folge von Alterungsprozessen. Durch diese Vorgänge wird das Kreuzband mehr und mehr durch physiologische Bewegungsvorgänge belastet, bildet sog. Mikroläsionen aus und kann so auch durch minimalste und völlig normal erscheinende Bewegungen plötzlich reißen. Vor allem bei großrassigen Hunden und übergewichtigen Katzen wird bei Lahmheiten der Hinterhand häufiger die Ruptur des vorderen Kreuzbandes diagnostiziert, jedoch kann dieses jede Rasse und Tierart betreffen.
Ein Kreuzbandriss äußert sich bei Ihrem Tier durch eine plötzlich einsetzende Lahmheit der Hinterhand, die auch ohne Behandlung nach 3-6 Wochen wieder verschwinden kann. Diese Lahmheit verschlimmert sich nach langen Ruhephasen oder Anstrengung, die betroffenen Tiere haben häufig Schwierigkeiten beim Aufstehen oder Hinsetzen. Ein typisches Symptom beim Kreuzbandriss (oder auch beginnende Kreuzbanddegeneration) des Hundes ist das Wegstrecken einer Gliedmaße in sitzender Position. Hunde mit Riss beider Kreuzbänder setzen sich oft auf leicht erhöhte Flächen, wie z. B. eine Treppenstufe, um ihre Kniegelenke zu entlasten.
Zur Diagnose eines Kreuzbandrisses bei Ihrem Tier benötigen wir Röntgenaufnahmen beider Kniegelenke, um die Winkelstellung des Oberschenkelknochens zum Schienbein zu beurteilen, da der Winkel sich nach Riss der Kreuzbänder abnorm verändern kann, sowie die Gelenksfüllung oft stark zunimmt. Häufig lassen sich auch bereits ausgebildete Arthrosen, sowie Osteophytenbildung (siehe unten) im Röntgenbild erkennen. Die Bänder selbst sind in Röntgenaufnahmen leider meist nicht sichtbar. Zur Sicherung dieser Befunde testen wir noch die Beweglichkeit des Kniegelenkes unter Einwirkung von Scherkräften (welche durch ein intaktes Kreuzband abgefangen werden). Diese sogenannte „Schubladenphänomen“ ist nur nach Riss mindestens eines Kreuzbandes auslösbar und bietet somit eine sichere Diagnosestellung, die noch mit dem sogenannten „Tibiakompressionstest“ untermauert wird. Leider sind manche Patienten so aufgeregt, dass sie ihre Beinmuskulatur derart anspannen, dass eine genaue Befundung nicht möglich ist. Wenn dies der Fall ist, und ein dringender Verdacht besteht, testen wir meist am Tag darauf nochmals in Narkose, um bei positiven Befund danach direkt zu operieren. So wird Ihrem Tier eine Doppelbelastung durch mehrfache Narkotisierung erspart.
Eine konservative Therapie eines Kreuzbandrisses nur mit Schmerzmitteln ist nur bei sehr alten Tieren oder anderweitig schwer erkrankten angezeigt. Dies führt zwar zu einem kurzfristigen Erfolg, jedoch legt das Tier unbemerkt beim Gehen die Last auf das gesunde Bein, was oft binnen eines Jahres zum Riss des Kreuzbandes der anderen Gliedmaße führt. Außerdem bilden sich durch die Gelenksfehlstellung und Fehlbelastung Arthrosen und sog. Osteophyten aus. Dies sind knöcherne Zubildungen ausgehend von der Knochenhaut, die den Gelenksspalt schmirgelpapierartig verändern und unheimliche Schmerzen verursachen können. Da eine Operation durch TTA (Tibial Tuberosity Advancement) oder TPLO (Tibial Plateau Leveling Osteotomy) in 85-90 % der Fälle zu absoluter Lahmfreiheit führt, ist die chirurgische Versorgung eines Kreuzbandrisses Mittel der Wahl.
Bei der in unserer Klinik durchgeführten TTA (Tibial Tuberosity Advancement) besteht das Hauptziel der Operation darin, durch eine chirurgisch angepasste Winkelveränderung des Kniegelenkes, die bei der Belastung der Gliedmaße entstehenden Scherkräfte wieder abzufangen. Diese Aufgabe des Kreuzbandes kann bei korrekt angewandter Technik durch die Bänder der Kniescheibe übernommen werden. Zur Veranschaulichung haben wir Ihnen diese Technik nochmals stark vereinfacht dargestellt:
Zuerst wird mit der oszillierenden Knochensäge die Ansatzstelle des Kniescheibenbandes nach vorheriger Vermessung in einem bestimmten Winkel fast vollständig „abgesägt“ (partielle Transversalosteotomie der Crista tibiae).
Nun wird sichergestellt, dass sich die Kniescheibe mit ihren Bändern in einem rechten Winkel zu den wirkenden Scherkräften befindet und das zuvor gelöste Knochenstück wird mit der Hakenplatte fixiert.
Letztendlich wird noch ein „Platzhalter“ in die entstandene Lücke eingesetzt, der die Stabilität während der Heilungsphase gewährleisten soll. Die Lücke wird dabei vom Körper nach und nach mit knöchernen Material aufgefüllt. Alle in den Knochen eingebrachten Teile sind aus medizinischem Stahl und können ein Leben lang an ihrem Platz verbleiben.
Fotos: Small Animal Surgery, (c) 2007, Elsevier Limited, (c) Elsevier GmbH, München
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